„Joe Biden was the right candidate at the right time“
“Joe Biden war der richtige Kandidat zur rechten Zeit”
Patricia Murphy, Journalistin bei der Tageszeitung The Atlanta Journal-Constitution
Als am 7. November 2020, nach einem langen und heftigen Wahlkampf, der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, und Kamala Harris, die Bewerberin für die Vizepräsidentschaft, die erforderlichen Stimmen im Electoral College erreicht hatten, gab es neben großer Freude und Begeisterung bei den Biden-Wählerinnen und Wählern und Enttäuschung bei den Trump-Fans auch Erleichterung, dass es endlich vorbei war. „Biden Wins Presidency, Ending Four Tumultuous Years Under Trump“, lautete eine Überschrift in der New York Times am 8.11.20. Einem Freund in Amerika hatte ich eine kurze E-Mail geschrieben: „Game over for Trump! Joe Biden and Kamala Harris elected! Great!“ Die postwendende Antwort bestand aus nur einem Wort: „Finally!“
Ein wesentlicher Grund für den Erfolg Bidens war, dass die Demokraten – im Unterschied zur Wahl im Jahr 2016, bei der Donald Trump gewählt wurde – dieses Mal sehr geschlossen auftraten. Joe Biden hat es verstanden, die unterschiedlichen Kräfte in seiner Partei, wie etwa Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Amy Klobuchar, mit einzubinden. Taktisch klug war zweifellos auch, Kamala Harris, die vorher eine Konkurrentin um die Kandidatur gewesen war, als Running Mate zu wählen. Entscheidend für den Wahlsieg war schließlich, dass vor allem auch jene Demokraten in großer Zahl zur Wahl gingen, die vier Jahre zuvor zu Hause geblieben waren. Die Bedeutung der Briefwahl in den Zeiten von Corona, die Trump mit allen Mittel beschränken oder gar unterbinden wollte, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Die Auswirkungen und Hinterlassenschaften von vier Jahren Trump werden nicht über Nacht verschwinden. Der nun gewählte Präsident Joe Biden hat angekündigt, alles zu tun, um das tief gespaltene Land wieder zu einen: „We are not ‚red’ states or ‚blue’ states, we are the United States!“ Die Farbe ‚Rot’ steht dabei für die Republikaner, die Farbe ‚Blau’ für die Demokraten. Er hat damit ein sehr schwieriges Stück Arbeit vor sich. Darüber hinaus wütet die in den USA aus dem Ruder gelaufene Corona-Pandemie, die bis jetzt in den Vereinigten Staaten über 237.000 Menschenleben gefordert hat. Da ist ferner der Rassismus, da ist die der Pandemie geschuldete Wirtschaftskrise mit einer hohen Zahl an Arbeitslosen, da ist die amerikanische Waffenhysterie, da sind Hass und Gewalt im Land und da ist vieles mehr. Das Editorial der New York Times am 8.11.10 beginnt mit dem Satz: „Having peered into the abyss of autocratic nationalism, the American people have chosen to step back from the brink.”
Viele Amerikaner werden diese Beschreibung der Trump-Jahre auch nach der Wahl nicht akzeptieren können oder verstehen wollen. Vor dem Wahltag am 3. November sagte eine grauhaarige ältere Dame aus dem ländlichen Amerika den Reportern von CNN: „If the Democrats win, they will destroy our way of life!“ Trump bestärkte solche Untergangsvorstellungen; er machte auch am Tag nach der Entscheidung keinerlei Anstalten, seine Niederlage öffentlich einzugestehen – im Gegenteil. Nicht nur die ältere Dame, die um den American way of life fürchtet, auch die Amerikaner, für die der Klimawandel nicht existiert oder für die eine gute Krankenversicherung Teufelszeug oder schlimmer Sozialismus ist, werden noch immer da sein. So auch die große Zahl der Evangelikalen, die trotz seiner moralischen Schwächen Trump sehr verehrt haben.
Wie geht es in der amerikanischen Politik weiter nach dieser langen Periode politischer Zwietracht und gegenseitiger Blockierung? Klar ist, diese Entwicklung begann nicht erst 2016 mit der Wahl von Donald Trump. Schon Anfang der 1990er Jahre hatte der republikanische Politiker Newt Gingrich die „Republikanische Revolution“ ausgerufen, die die beiden Parteien im Kongress mehr und mehr polarisierte. Schon damals begann eine Zeit, in der keine Seite der anderen auch nur den kleinsten Stich gönnen konnte oder wollte. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass Joe Biden immer wieder darauf hinweist, dass „wir“ keine Feinde sondern „nur“ politische Gegner sind. Damals begann auch die Zeit der jetzt so tiefen Gräben zwischen dem Amerika der urbanen Zentren und dem Amerika auf dem flachen Land. In seiner Rede am 7.11. (Acceptance Speech) sagte Biden geradezu beschwörend: „The refusal of Democrats and Republians to cooperate with one another is not due to some mysterious force beyond our control. It’s a decision. It’s a choice we make.” Offen ist bis jetzt, ob er tatsächlich mehr Zusammenarbeit erreichen kann.
Die Republikaner haben darauf bis jetzt noch nicht geantwortet. In ihren Reihen gibt es Politiker, die die Republikanische Partei (G.O.P.) neu ausrichten wollen. Es geht dabei u.a. um eine andere Sichtweise gegenüber Minderheiten und Einwanderern, um die Rassenfrage und um die Stellung von Frauen in der Gesellschaft sowie um Schul- und Bildungspolitik. In all diesen Fragen scheinen Teile der Republikaner gesellschaftspolitisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein. Sie haben vor allem den demographischen Wandel übersehen. Dies zeigte sich etwa im Wahlkampf, als Donald Trump, immer wieder von den „Hausfrauen in den Vorstädten“ redete. Sie haben früher die Republikaner gewählt, doch Trump hat offenbar übersehen, dass die Mehrzahl dieser Frauen inzwischen berufstätig ist und die Demokraten wählen. Im aktuellen Wahlkampf hat das Lincoln-Project, eine Gruppe bekannter Republikaner, offen und auch finanziell massiv für Joe Biden geworben. Die Frage ist, ob sie sich in ihrer Partei werden durchsetzen können, nachdem zwar die Präsidentschaft verloren ging, die Niederlage aber nicht so gewaltig war, wie die Lincoln-Leute erwartet hatten um die programmatische Diskussion in Gang zu bringen. Aktuell reden manche Republikaner sogar davon, dass Donald Trump in vier Jahren wieder antreten sollte.
Aus europäischer Sicht war in den letzten vier Jahren schwer zu verstehen, dass die Republikaner die Eskapaden Trumps so lange stillschweigend akzeptierten oder gar verteidigten. Trump ist es ähnlich wie anderen Autokraten gelungen, seine Partei voll und ganz auf seine Person auszurichten. Führende Republikaner, wie etwa Mitch McConnell und Lindsey Graham haben hierbei Mitverantwortung auf sich geladen. Die Überschrift über ein Editorial in der New York Times im Oktober d.J. lautete: „R.I.P., G.O.P.“.
Wie wirkt sich die Wahl Bidens auf die amerikanische Außenpolitik und vor allem auf Europa und Deutschland aus? Die New York Times überschrieb einen Artikel darüber mit: „Biden Victory Brings Sighs of Relief Overseas.“ Im Text dann der Satz: „For many world leaders the importance of this election was as much about removing Mr. Trump as ushering in Mr. Biden.” Das politische Klima unter den Verbündeten auf beiden Seiten des Atlantiks wird sich normalisieren. Twitter wird nicht länger das Medium sein auf dem die Verbündeten in Europa erfahren müssen, was im Weißen Haus gedacht und geplant wird. Trump hat die EU als wirtschaftliche Konkurrenz zu den USA gesehen. Deshalb hat er alles unterstützt, was die EU stören oder schwächen kann: Den Brexit und Boris Johnson, die Vorbehalte mancher osteuropäischer EU-Mitglieder gegenüber Brüssel, für die Trump so etwas wie ein politisches Vorbild wurde. Der ungarische Premier Viktor Orban, der serbische Präsident Aleksander Vucic und der slowenische Premier Janez Jansa hatten öffentlich gewünscht, dass Trump gewinnen möge. Als pikante diplomatische Randnotiz ist zu vermerken, dass Premier Jansa Donald Trump bereits einen Tag nach der Wahl zum Sieg beglückwünschte. Die Glückwünsche kamen zu früh. Pikant ist der Vorgang deshalb, weil Slowenien im 2. Halbjahr 2021 in der EU-Ratspräsidentschaft mitwirken wird.
Die NATO sah Trump nicht als Bündnis gleichrangiger Partner zur Verteidigung gemeinsamer Werte an, sondern als eine Art Wirtschaftsbetrieb, der nach Soll und Haben geführt und bewertet wird. Und Wirtschaftsunternehmen können im Zweifel auch verkauft oder aufgelöst werden. Trump hat mit seinen Veranstaltungen mit Putin und Kim Jong-un und seinen abfälligen Bemerkungen über Verbündete viel diplomatisches Porzellan zerschlagen und Zweifel in die politische Zuverlässigkeit der USA geweckt. Biden wird das entstandene Misstrauen ausräumen müssen, denn er weiß, dass er im weltpolitischen Geschehen Verbündete braucht. Aber selbst wenn mit Präsident Biden wieder alles so wird, wie es einmal war – damit ist jedoch nicht zu rechnen – steht Europa vor großen Herausforderungen. Die EU muss das eigenen Haus in Ordnung bringen: Etwa im Bereich der Infrastruktur, bei der Digitalisierung, bei Bildung und Ausbildung. Es geht um eine weitere Anpassung der Lebensverhältnisse und der Sozialsysteme in Europa und nicht zuletzt um die Fortentwicklungen der EU-Strukturen.
Vor allem muss Europa glaubwürdig bleiben bei seinem demokratischen Wertesystem: Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz, Presse und Meinungsfreiheit, Minderheitenschutz und Religionsfreiheit.
Das Europäische Projekt muss weiterentwickelt und gestärkt werden, damit die EU-Mitgliedstaaten im globalen Kräftemosaik bestehen können. Europa wird auch mit Biden mehr Verantwortung in der globalen Politik übernehmen müssen. Dabei geht es auch, aber nicht nur um die militärische Stärke Europas. Europäisches Geld, europäisches Know-how und europäische Diplomatie sind insbesondere in Afrika nötig. Vielleicht wird durch die neue Dynamik im Weißen Haus auch die EU angestoßen. Es ist zu erwarten, dass die USA dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten. „Welcome back America!“, twitterte dazu Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris an Joe Biden und Kamala Harris.